(veröffentlicht in dem Buch: aller menschen würde, Ein Lesebuch, amnesty international gewidmet, Hg. Reiner Engelmann und Urs M. Fiechtner, 2001)

FrauenRechtsBüro gegen Sexuelle Folter

Von Jutta Hermanns


Seitdem ich gebeten wurde, für das vorliegende Buch über unsere Projektarbeit in der Türkei und Kurdistan/Türkei zuschreiben, überlege ich, auf welche Art ich das am Besten anstelle, um so viel wie möglich von der unendlich umfassenden Realität, von der ich berichten möchte, zu vermitteln. Persönlich-emotional? Politisch? Wissenschaftlich kühl und sachlich? Menschenrechtlich juristisch?

Je nachdem auf welche Art wir uns der zu erfassenden Realität annähern, ändert sich der Blickwinkel, die Betonung und das jeweilig hervorzuhebende Einzelelement des Ganzen.

Fest steht: Die Realität selber besteht aus all diesen Elementen.

Daher ist sie auch so schwer zu erfassen und hinterlässt bei Betroffenen wie Außenstehenden, falls es solche überhaupt geben kann, leicht ein Gefühl der Ohnmacht. Spätestens dann, wenn wir uns dem Gefühl der Ohnmacht gegenübersehen, sind die staatlichen Täter von Folter an ihrem Ziel angelangt.

Deswegen soll dies auch ein Text gegen die Ohnmacht sein.

Vorab möchte ich ganz kurz ein paar Hintergrundinformationen zu dem Land geben, um das es geht. Die Türkische Republik, gegründet 1923 durch den heute noch als Nationalhelden gefeierten Mustafa Kemal, genannt Atatürk (was soviel heißt wie: Urahn aller Türken), wurde als eine nationalistische, laizistische und zentralistische Republik von oben konstruiert.

Die staatlichen Leitprinzipien führten im Ergebnis zu einer antidemokratischen, auf Gewalt und Verbot beruhenden Staatspolitik, die sowohl jegliche Opposition als auch und insbesondere die in diesem »künstlichen« Staatsgebilde zusammengefassten Minderheiten und Völker betraf. Das größte innerhalb der Staatsgrenzen beheimatete eigenständige Volk ist das der Kurden. Eine Politik von Verleugnung und Zwangsassimilierung führte immer wieder zu Aufständen, die blutig niedergeschlagen wurden. In der jüngeren Geschichte der Republik kam es zu drei Militärputschen, von denen der letzte am 12.9.1980 stattfand. Das Militär ist mit seiner Institution des »Generalstabs« und seiner starken Position im »Nationalen Sicherheitsrat« die eigentlich politisch bestimmende Macht hinter den »parlamentarisch gewählten«und damit angeblich zivil-politischen Kulissen in der Türkei. Nach dem Putsch 1980 kam es zu hunderttausenden Festnahmen, Morden, Folter und Inhaftierungen, in deren Folge tausende Menschen behindert blieben und unendlich viele Familien völlig auseinander gerissen wurden. Zugleich begann eine große Fluchtbewegung nach Europa, namentlich Deutschland. 1984 begannen die Kurden gegen die Politik der totalen Verleugnung und Unterdrückung einen bewaffneten Kampf um Selbstbestimmung in den kurdischen Gebieten der Türkei. Über die Provinzen der kurdischen Region wurde der Ausnahmezustand verhängt, der in fünf Provinzen noch heute andauert. In den folgenden Bürgerkriegsjahren fanden zahlenmäßig nicht mehr aufzuarbeitende Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen insbesondere durch staatliche Kräfte an der zivilen kurdischen Bevölkerung statt, deren Hauptbetroffene, wie immer in Kriegen, die Frauen sind. Wieder mussten tausende Menschen das Land verlassen, wodurch diesmal ein ganzes Volk völlig entwurzelt und zersprengt wurde. Die europäischen Länder jedoch, allen voran Deutschland, haben traditionell gute wirtschaftliche und insbesondere militärische Beziehungen zu ihrem »Natopartner« Türkei, weswegen sie es seit Jahren versäumten, sich nachhaltig, glaubwürdig und effizient für einen Frieden und eine Demokratisierung in der Türkei einzusetzen.

Waffenlieferungen, Polizeiausbildungshilfen, sonstige Zusatzhilfen etc. waren immer wieder Schlagzeilen in den Medien wert, führten aber nie zu effektiven Konsequenzen. Im Gegenteil, zugleich wurde die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gegen so genannte Flüchtlingsströme, die durch die Art der Außenpolitik erst mit geschaffen wurden, verschärft. Die Türkei ist mittlerweile zig-mal durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für durch türkische Staatssicherheitskräfte begangene Menschenrechtsverletzungen jeglicher Art verurteilt worden. Das Land hat anscheinend einen Extra Fonds eingerichtet und zahlt brav die »Wiedergutmachungsstrafen« an die Betroffenen. Einsicht, in Form einer Änderung der politischen Ideologie und Praxis, ist jedoch nicht festzustellen. Menschenrechtsarbeit ist wohl die einzige Tätigkeit auf der Welt, deren Hauptziel darin besteht, sich selber überflüssig zu machen. Leider ist dies in der Türkei bis heute nicht gelungen. Folter und andere Menschenrechtsverletzungen sind nach wie vor ein Hauptproblem.

Seit der völkerrechtswidrigen Entführung und Inhaftierung Abdullah Öcalans, der für die kurdische Bevölkerung das Symbol seines Freiheitswillens darstellt, hat die PKK den bewaffneten Kampf im Sommer 1999, nach mehreren einseitigen und nicht erwiderten Waffenstillstandserklärungen in den vorangegangenen Jahren, einseitig für beendet erklärt und sich für ein umfassendes Demokratisierungs- und Friedensprojekt für das gesamte Land unter  Anerkennung der legitimen Rechte des kurdischen Volkes ausgesprochen. Etliche politische Kräfte sind gewillt an einen möglichen Friedens- und Demokratisierungsprozess in der Türkei zu glauben.

Die Europäische Union hat der Türkei im November 1999 den Kandidatenstatus zur Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft bei Erfüllung bestimmter Bedingungen, zu denen die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Praktizierung der »Minderheitenrechte« des Kopenhagener Abkommens gehören, zuerkannt. Zur Zeit wird über die staatlichen Verbrechen der Vergangenheit und der Gegenwart fast nicht mehr geredet. Unser nachdrückliches Verlangen nach lückenloser Aufklärung, Anerkennung, Bestrafung und Beendigung der staatlichen Menschenrechtsverbrechen als einen ersten Schritt zu einer eventuellen »Wiedergutmachung« und als unabdingbare Voraussetzung für einen gerechten Frieden, scheint politisch nicht opportun. Die fürchterlichen Folgen des Holocaust jedoch und auch die Entwicklungen z.B. in den lateinamerikanischen Ländern zeigen uns, dass die Spuren der an der Bevölkerung begangenen Verbrechen nicht durch Verschweigen und Vergessen zu tilgen sind. Auch in uns selber nicht, die wir »Menschenrechtsarbeit« betreiben oder »nur Zuschauer« sind. Daher werden wir weiter die Bestrafung der staatlichen Täter, die staatliche Anerkennung und »Wiedergutmachung« der begangenen Verbrechen und auch die bedingungslose Anerkennung der Betroffenen als Opfer internationaler Machtpolitik durch die Exilländer, die sich durch ihre politische, militärische wie wirtschaftliche Verstrickung zu Mitschuldigen degradiert haben, fordern.


Das Projekt

Vor drei Jahren, im Frühsommer 1997, haben wir in Istanbul mit dem »FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter« begonnen. Nicht etwa, weil wir Istanbul als Standort besonders geeignet fanden, sondern gezwungenermaßen da es in den kurdischen    Ausnahmezustandsprovinzen in keiner Weise erlaubt war, tätig zu sein. Selbst der Menschenrechtsverein ein der Türkei IHD ist dort seit Jahren verboten und geschlossen, Die staatlichen Verbrechen sollten geheim bleiben. Wir waren vier Anwältinnen, von denen ich die einzig ausländische bin. Das Projekt ist unabhängig und differenziert nicht nach Herkunft oder Anschauung. Sexuelle Folter ist die Form von Folter, die am unaussprechlichsten ist und zugleich psychisch und in der Folge auch körperlich die am längsten anhaltenden Spuren mit sich bringt. Sexuelle Folter reicht vom völligen Entkleiden ab dem Zeitpunkt der Festnahme über erniedrigende Beleidigungen und Beschimpfungen sexuellen Inhalts, Misshandlungen an den Geschlechtsorganen, z.B. mit Elektroschocks, Drohung mit Vergewaltigung bis hin zu Vergewaltigung vaginal, anal oder oral, körperlich oder mit Gegenständen, wobei die Augen der Betroffenen verbunden sind. Nicht selten geschieht dies vor den männlichen Familienangehörigen oder Freundinnen und Freunden um hierdurch diese zum Sprechen zu bringen. Obwohl sexuelle Folter Frauen, Kinder und Männer betrifft, weist sie in ihren zerstörerischen Folgen für die weiblichen Mitglieder einer Gesellschaft aufgrund der ihnen traditionell zugeschriebenen Rolle und Stellung innerhalb der Gemeinschaft eine besondere Dimension auf. Die potenziell immer bestehende Gefahr, Opfer sexueller Gewalt zu werden, ist für Frauen und Mädchen allgegenwärtig und konkretisiert sich im Angriff auf ihre sexuelle Integrität in dem Moment, in dem sexuelle Gewalt als Methode der Zerstörung durch staatliche Kräfte systematisch eingesetzt wird, in ihrer brutalsten Form. Hinzu kommt, dass durch die Tabuisierung dieser Realität die meisten Frauen Furcht davor haben, das Erlebte auszusprechen und die Täter öffentlich anzuklagen. Sexuelle Folter gegen Frauen zielt im Moment des Verhörs darauf ab, der Betroffenen das Gefühl absoluten Ausgeliefertseins zu vermitteln und ihre Selbstachtung total zu zerstören. Viele Betroffene berichten davon, dass körperliche Schmerzen zu ertragen seien und deren Spuren mit der Zeit vergingen, dass im Moment des Angriffs auf ihre sexuelle Integrität jedoch nur noch ein Gefühl völligen Beschmutztseins besteht. Häufig werden Gefühle wie: »In diesem Moment bin ich gestorben, ich bin ein Nichts« geäußert. Eine weitere Dimension beinhalten Menschenrechtsverletzungen dieser Art an kurdischen Frauen oder Mädchen in den Kriegsgebieten der Türkei, z.B. während Operationen in den Dörfern etc., bei denen es nicht unbedingt zu Festnahmen kommen muss. Das Entkleiden und sexuelle Misshandeln weiblicher Angehöriger der Gemeinschaft vor den Augen aller Dorfbewohner, Entführung und Vergewaltigung durch Staatssicherheitskräfte sind nicht selten. Sie stellen in dieser Form zugleich einen Angriff auf die gesamte ethnische Bevölkerung dar, die durch diese Frauen repräsentiert wird. In Kriegsgebieten und Gegenden bewaffneter Auseinandersetzungen überall auf der Welt werden Angriffe auf die sexuelle Integrität der weiblichen Mitglieder der Gesellschaft als Methode der Kriegsführung eingesetzt. Sie stellen international geächtete Kriegsverbrechen dar. Mit unserem Projekt wollten wir den betroffenen Frauen und Mädchen unentgeltlich rechtliche Hilfe anbieten. Wir erstatten Strafanzeigen gegen die staatlichen Täter bei den Staatsanwaltschaften und, kommt es zur Anklageerhebung, vertreten wir die Interessen der Betroffenen. Bei ergebnisloser Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsmittelwegs legen wir Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Zugleich wird durch Zusammenarbeit mit medizinisch-psychologischen Einrichtungen, von denen es jedoch nur sehr wenige gibt, versucht, Gutachten über die insbesondere psychischen Langzeitfolgen zu erhalten, um diese als Beweise zu verwerten. Wir versuchen auch, den Frauen zu dringend nötigen Therapien zu verhelfen. Durch gleichzeitige Öffentlichkeitsarbeit soll die Realität der Anwendung sexueller Folter auf gesellschaftlicher Ebene thematisiert werden, um so das Tabu zu brechen und den betroffenen Frauen und ihren Angehörigen zu dem Bewusstsein zu verhelfen, dass es sich bei diesem Verbrechen nicht um individuelle Einzelschicksale handelt, sondern um ein politisches Instrument der Repression. Durch die Diskussion der Systematik und Ursachen dieser Art von Folter sollen andere Frauen ermutigt werden, ihr Schweigen zu brechen, die Täter zu benennen und deren Bestrafung zu fordern. Hierdurch soll das Gefühl individueller Scham und Schuld überwunden und durch Anklage der Täter die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass diese nicht mehr in der Sicherheit ihrer Anonymität folgenlos agieren können.

Persönlicher Einschub


Ich selber wurde mit 14 Jahren Mitglied bei amnesty international. Unser damaliger Arbeitsbereich war Südafrika. Ich habe mit 14 Jahren den ersten Bericht über angewandte Folterpraktiken in Südafrika geschrieben, darüber vorgetragen und danach etliche Menschen aus diesem Land kennen gelernt. In der Schule haben wir Plakate und Informationsmaterial von amnesty international aufgehängt und verteilt, ohne zuvor die Erlaubnis des Direktors einzuholen, wofür wir fast von der Schule geschmissen wurden und weswegen es heftigste Auseinandersetzungen fast bis zu Schlägen gab. Wir haben darauf bestanden, dass derartiges Material keiner »Vor Zensur« zu unterwerfen ist.

Das waren meine ersten Erfahrungen. Später habe ich amnesty verlassen, aber nie aufgehört zu diesem Thema zu arbeiten. Ich bin Juristin geworden und direkt danach, nach dem so genannten zweiten Golfkrieg, 1991 das erste Mal nach Kurdistan gegangen.

Damals hat mir ein enger Freund nach seiner Entlassung aus den türkischen Knästen, in denen er 10 Jahre als politischer Gefangener verbrachte, das erste Mal über die von ihm erfahrene sexuelle Folter erzählt. Wir konnten darüber reden, insbesondere, weil er darüber reden konnte. Er war über 68 Tage in Incommunicado-Haft, d.h., ohne jeden Kontakt zur Außenwelt, während derer er unvorstellbar grausam gefoltert worden ist. Da er wegen der Verletzungen, die er dabei erlitt, zu dem ersten Hauptverhandlungstermin des u.a. gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens wegen Hochverrats (das für Hochverrat vorgesehene Strafmaß in der Türkei ist immer noch die Todesstrafe) aus der Untersuchungshaft nicht zum Gericht transportiert werden konnte, erlitt seine Mutter, die deswegen davon ausging, er sei mittlerweile tot, nachdem ihr zuvor immer seine blutige Wäsche geschickt worden war, einen derartigen Zusammenbruch, dass sie mehrere Tage darauf starb, ohne dass man ihm noch einmal die Gelegenheit gegeben hatte, sie zu sehen.

Er redete das erste Mal davon, wie er mit Flaschen, deren Form »er sich aussuchen durfte«, vergewaltigt wurde, auch mit Knüppeln. Und wie sie seine Schwester brachten und damit drohten, sie vor seinen Augen zu vergewaltigen, wenn er nicht spreche. Später, als sie mich einmal dort festnahmen, drohten sie mir damit, dass sie seine Familie holen würden, wenn ich ihnen nicht die gewünschten Angaben machen würde, und ich musste immer an unser Gespräch über die Schwester denken. Und die Vorstellung, dass diese Familie nun meinetwegen einer erneuten Drangsal ausgesetzt würde, war das Schlimmste, was ich mir überhaupt nur vorstellen konnte, trieb mir den Schweiß aus allen Poren und erweckte in mir den drängenden Wunsch, dass sie mit mir doch nur machen sollten, was sie wollten, was sie sich nicht trauten, da ich »als Deutsche unter Schutz stehe«. Ich wusste aber genau, was sie mir sagen wollten. Von diesem Freund wusste ich auch, dass die Gefangenen im Knast, nachdem Haftbefehl gegen sie ergangen war, über jede Art der Folter miteinander sprachen, nur nicht über diese. Nicht über die Vergewaltigungen. Denn es war ein totaler Angriff auf das Ehrverständnis ihrer selbst. Während einer unserer vielen Diskussionen und Gespräche legte ich ihm eines Tages eine Hand auf die Schulter. Eis entstand. Als ob ich Eis geschaffen hätte durch den Versuch, Nähe zu erzeugen. Ich wollte Zugang herstellen über Berührung und hatte Eis geschaffen. »Lass mich in Ruhe!« Ein Schlag zurück.

Fast aggressiv. »Lass mich in Ruhe!« Schweigen.

Undurchdringlich, nicht aufzulösendes Schweigen. Könnt Ihr euch vorstellen, was das heißt? Die ganze Nacht zu sitzen, keinen

Zugang zu finden zu einem nahen Menschen und darüber nachzudenken, ob DU schuld bist, durch DEINE Berührung an Folter erinnert zu haben, eine

Erinnerung, die nicht sein durfte, weil sie das zweite Mal »wie Sterben« bedeutete?!

Was war es, was sie getan hatten, dass

diese Berührung dies auslöste?

Eis und kein Zugang. Unmöglich. Du bist schuld. Du warst nicht sensibel genug für die Auswirkungen dieser Art von Folter. Wolltest dich als »schützende Hand« annähern und hast durch deine Hand, mit nur einer Berührung, alles zerstört.

Ich schreibe das um einen Eindruck zu geben von der Sensibilität, über die alle Menschen verfügen müssen um ihre Mitmenschen und sogar geliebte Freund/innen verstehen zu können.

Wie viel herrscht von einer solchen Sensibilität hier, in diesem Land?

Wie viel herrscht davon bei uns selber, untereinander und Menschen anderer Länder gegenüber?

Wie viel weißt du, wenn du in der U-Bahn Menschen ansiehst, über diese? Womöglich Menschen aus einem anderen Land — hier »Ausländer« genannt?

Weißt du, ob er/sie nicht vielleicht Ähnliches durchgemacht hat und tausendmal sensibler reagiert als du auf jeden Blick, jede Geste, jedes Wort?

Was wissen »unsere« deutschen Beamten darüber, die bei der Ausländerpolizei oder auch beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder auf den Sozialämtern ihren »Job durchziehen«?

Wissen sie von ihrer zerstörerischen und aggressiven Macht, nur durch einen Blick, ein Wort, einen falschen Tonfall?


Fortsetzung Projekt


Wir wollen den betroffenen Frauen Mut machen, ihre Rechte einzufordern und das Tabu zu brechen. Bis heute haben sich 116 Frauen an uns gewandt. Wir haben Anzeigen erstattet, Therapien vermittelt, Beweise gesammelt. Da die meisten Betroffenen erst nach langer Zeit die innere Kraft finden, Anzeige zu erstatten, besteht die einzige Chance von Nachweis in der Erstellung von Gutachten über die verheerenden psychischen Folgen dieser Art Folter. Es finden sich nur wenige Ärztinnen, die den Mut haben durch derartige Gutachten Folterfolgen zu attestieren. Und gegen diese wenigen werden nicht selten Disziplinar- oder Strafverfahren eingeleitet, wegen Unterstützung krimineller oder terroristischer Vereinigungen. In der Türkei geht die offizielle Sicht nämlich davon aus, die Behauptung, gefoltert worden zu sein, sei eine besonders perfide Art »terroristischer« Organisationen den Staat zu verunglimpfen. Aber es sind nicht nur derartig absurde Ansichten und die staatlichen Täter selber, mit denen wir zu kämpfen haben. Die Staatsanwaltschaften stellen die Ermittlungsverfahren z.T. nach Jahren ein, ohne dass sie irgendeine Aufklärungsarbeit geleistet hätten. Die wenigen eingeleiteten Gerichtsverfahren enden häufig mit Freispruch. Auch die Justiz trägt also dazu bei, dass diese Form der Folter systematisch weiter zur Anwendung kommt, da die Täter sich in Sicherheit wiegen können. Aus diesem Grund haben wir bis heute 24 Verfahren wegen sexueller Folter vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Form der Individualbeschwerde eingeleitet. Nicht wenige betroffene Frauen müssen fliehen. Insbesondere nach Anzeigenerstattung besteht die Gefahr, jederzeit Racheakten des Staates ausgesetzt zu sein. So ist eine der Frauen, für die wir Anzeige erstattet hatten, erneut festgenommen und vergewaltigt worden. Man würde ihr schon zeigen, was es heißt, die türkische Polizei wegen Vergewaltigung »anzuschwärzen Flucht und Exil sind nie freiwillig. Exil bedeutet für die meisten Frauen, sich an einen Ort zu begeben, an dem sie sich sammeln können, um zumindest von den äußeren Umständen her ohne die permanente Furcht, erneut derartiger Gewalt ausgesetzt zu werden, die Ruhe zu finden, sich wieder aufzubauen. Hierzu gehört auch, sich als Teil eines gemeinsamen, fortgesetzten Kampfes gegen diejenigen Verhältnisse in ihrer Heimat zu begreifen, wegen derer sie gezwungen waren zu fliehen. Ihre Hoffnung ist es, hier auf Interesse zu stoßen und zur Beendigung dieser zerstörerischen Verhältnisse beizutragen, damit nie wieder ein Mensch, eine Frau nach ihnen das Gleiche noch einmal durch- machen muss. Ihre Hoffnung ist, dass die wirtschaftlich-politischen und militärischen  Belange in den internationalen Beziehungen nicht länger Vorrang haben vor ihren legitimen Rechten als Menschen, Frauen, Völker.

Ihre Hoffnung ist, ihre Stimme deutlich und bestimmt erheben zu können und endlich hier — im Exil — gehört zu werden.


Fortsetzung persönlicher Einschub


Der von mir erwähnte Freund starb dreieinhalb Jahre nach seiner Haftentlassung im Alter von 32 Jahren nach elf Tagen Koma, In dieser Zeit, als er im Koma lag und wir an sein Überleben glaubten, hatte ich einen Traum, in dem mir der Tod in Form eines großen Hundes erschien, der mit mir kämpfte. Was waren meine Träume nach dem Tod dieses Menschen?

Monatelang hatte ich Angst, mich schlafen zu legen. Sobald ich eingeschlafen war, erschien dieser große Hund. Und er vergewaltigte mich. Immer wieder.

Katzen sprangen mir in den Rücken und schlugen mir unter ungeheuerlichen Schmerzen ihre Krallen ins Fleisch. Der Tod vergewaltigte mich in meinen Träumen permanent in Form eines Hundes.

Und nie kam mir jemand zu Hilfe, obwohl ich in meinen Träumen nach der Hilfe der im Nebenzimmer schlafenden Menschen schrie. Sie waren dort, im Traum wusste ich es, im Nebenzimmer waren Freunde, aber sie hörten meine Hilfeschreie nicht. Aber tagsüber schwieg ich. Denn ich wollte nicht, dass jemand erkennt, wer ich eigentlich wirklich hinter der Maske von Stärke und Willenskraft war. Könnt ihr ahnen, dass ich das nicht schreibe um mich wichtig zu tun?

Könnt ihr ahnen, was die Nächte für wirklich direkt Betroffene bedeuten?

Könnt ihr mit dem Bild des Nebenzimmers etwas anfangen?

Alle wissen Bescheid, aber niemand kommt dir zur Hilfe.

Weltpolitik ist auch so. Asylpolitik auch.

Das Zimmer nebenan Was ist es noch?

Könnte es Europa sein oder die Welt?!

 Und wer sind wir hier, wenn wir in der Zeitung lesen:

»Algerierin erhängte sich nach acht Monaten im Frankfurter Transit —  Aus Algerien war sie nach eigenen Angaben geflohen, weil ihr Mann dort als >Terrorist< gesucht wurde und sie von algerischen Polizisten mehrfach vergewaltigt worden war.
Ihr Asylantrag war abgelehnt worden. Schily unter Druck«

Nun, was das wohl für ein Druck sein mag, unter dem er sich befindet?

Und wir?

Haben wir Druck?


Schluss

Auf unsere Anzeigen in der Türkei hin sind insbesondere in den letzten Monaten, im Verhältnis zu der vorangegangenen Zeit, mehr Verfahren gegen staatliche Täter eröffnet worden. Zum einen freut uns das, denn Verurteilungen könnten bei den staatlichen Folterern bewirken, dass sie in Zukunft nicht mehr in der sicheren Anonymität agieren können, sondern Furcht vor gerichtlicher Verfolgung haben müssten. Und das wiederum bedeutet für die betroffenen Frauen eine gewisse Form von Wiedergutmachung und Gerechtigkeit und die Hoffnung, dass die nach ihnen Kommenden nicht immer wieder das- selbe durchmachen müssen. auch für uns bedeutet es das.

Aber wir hegen die Furcht, dass es nur eine neue Art des Hinhaltens darstellt, ohne dass es zu grundlegenden Systemveränderungen kommt. Europa, das sowieso auf jede kleinste Geste hereinzufallen gewillt ist, kann auf diese Weise vorgegaukelt werden, es würde etwas gegen staatliche Täter unternommen. Aber wir, die wir wissen, wie diese Verfahren sich abspielen, wissen nur zu genau, dass sie sich ohne Ergebnis über  Jahre in ziehen werden Und hierdurch wird uns der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, welcher der Türkei mittlerweile zumindest politisch peinlich zu sein scheint, versperrt. Hinzu kommt, dass die Realität dieser Folter in der Praxis fortbesteht.

Es gibt also unzählige Gründe und Bereiche um aktiv zu werden. Stärke und Kraft einer umfassenden Opposition, wie es sie in diesem Land, welches so ungeheuerlich verstrickt ist, schon lange nicht mehr gibt, sind denkbar. Das unerträgliche ist die Interessenlosigkeit und scheinbare Ohnmacht. Zusammenhänge zu erkennen, eigene Fähigkeiten und Möglichkeiten wahrzunehmen und diese mit den Aktivitäten und Herzen anderer zu einem Ganzen zu verbinden, birgt immer noch Möglichkeiten grundlegender politisch gesellschaftlicher Veränderung in sich. Diese wäre der einzige Garant für eine umfassende Beendigung der oben beschriebenen Realitäten, offener oder klammheimlicher staatlicher Verbrüderungen, bürokratischer  Verknöcherungen und unzähliger nicht wahrgenommener, seelischer Tode unter unseren eigenen Freund/innen.

 

hermanns@rajus.org