Eigenständige Kurdische Identität – Kampagne (v. Jutta Hermanns, Rechtsanwältin)
Berlin, den 07.11.11
Seit Jahrzehnten kämpft die kurdische Bevölkerung u.a. in der Türkei um ihre auch in internationalen Abkommen verankerten und ihnen zustehenden Rechte. Nicht nur, dass der Gebrauch ihrer Muttersprache sogar im privaten Bereich bis vor nicht allzu langer Zeit in der Türkei verboten war, ihre Verfolgung ist brutal und grausam und hatte in der Vergangenheit durchaus genozidäre Züge. Dadurch, dass die Kurden auch im Rest der Welt und somit auch in Europa lediglich als mehr oder weniger nützlicher Spielball zur Sicherung der gerade vorherrschenden wirtschaftlich-militärisch-politischen Interessen benutzt werden, ist die kurdische Bevölkerung letztlich ein Volk ohne Bündnispartner und ohne diplomatischen Schutz, da ein ihnen zustehender kurdischer Staat nach wie vor nicht existiert.
Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und in den Medien finden die vielen Initiativen, Aktivitäten und Forderungen der Kurden an sich lediglich dann, wenn die PKK einen spektakulären Anschlag verübt hat oder es zu Auseinandersetzungen auf den Straßen Europas kommt, wodurch die Berichterstattung meist negativ besetzt ist. Außerhalb dieser Zeiten versinken „die Kurden“ im schwarzen Loch des Schweigens und des Desinteresses. Als könne die Existenz des nach wie vor ungelösten „Problems“ durch Abwarten, Teetrinken und Totschweigen quasi beiseite gewischt werden.
Der Ansatz, eine Kampagne zur Wahrnehmung und Anerkennung der kurdischen Existenz und Identität hier in der Bundesrepublik und Europa durchzuführen, ist richtig und wichtig, findet aber ebenfalls kaum Widerhall in der Öffentlichkeit.
In den Medien wird nach wie vor äußerst unsauber mit der kurdischen Realität umgegangen:
Es heißt „Südostanatolien“ oder „Osten der Türkei“ wenn es entweder „Nordkurdistan“ oder zumindest „die kurdischen Gebiete“ heißen müßte. Zu den Feierlichkeiten um die „50 Jahre Anwerbeabkommen“ wird gar nicht mehr erwähnt, dass viele der Menschen die kamen, Kurden und kurdische Familien sind. Sie werden kurzerhand unter die immer wieder genannten „3 Millionen Türken in Deutschland“ (lt. Statistischem Bundesamt nicht 3 Mill, sondern rund 1,6 Mill Menschen aus der Türkei Ende 2010) gepackt. Da es auch in den deutschen Statistiken und Erhebungen keine genauere Unterscheidung nach kurdischer Volkszugehörigkeit der Menschen existiert, bleibt völlig unbeachtet, dass ein Großteil der Menschen hier gerade nicht „türkisch“ und auch nicht „türkischstämmig“ ist, sondern Kurden sind.
Ihre Muttersprache ist auch nicht „Türkisch“ sondern Kurdisch, eine völlig andere Sprache, welche wie die deutsche Sprache der indogermanischen Sprachgruppe angehört. Erdogans Ansprachen gehen an der Realität dieser Menschen vollständig vorbei, wozu jedoch weder von politischer noch medialer Seite ein Hinweis erfolgt. Insbesondere kann sich Ministerpräsident Erdogan keineswegs aufschwingen, darüber zu schwadronieren, dass Assimilation ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, da er selber es tausendfach begeht und im Übrigen z.B. die Kurden seit langem vergeblich um muttersprachlichen Unterricht kämpfen. Und das, obwohl die Kurden in den kurdischen Teilen der Türkei in ihrem eigenen Siedlungsgebiet leben.
Ministerpräsident Erdogan hat nach einem PKK-Angriff auf eine türkische Militärwache (also ebenfalls bewaffnete Einheiten) die türkische Bevölkerung dazu aufgerufen, es „den Kurden heim zuzahlen“, woraufhin in konzertierten Aktionen sowohl in der gesamten Türkei als auch in vielen Städten Europas gleichzeitig von aufgebrachten nationalistischen Türken das Zeichen der türkischen Faschisten, der „grauen Wölfe“, skandierend Kurden angegriffen wurden und werden. Die Polizei in Berlin sah mehr oder weniger zu, als die aufgebrachte Menge mit Fahnen der „grauen Wölfe“ den am Straßenrand stehenden kurdischen Menschen zuriefen „Ihr seid alle Öcalans Bastarde“, „Wir kommen zu Euch und ficken Eure Mütter“, „Ihr seid alle Hurensöhne“, wobei mit „Ihr“ und „Eure“ kurdische Menschen generell gemeint waren, sowie „Unsere Märtyrer sind unsterblich, das Vaterland ist unteilbar“ skandierten und sogar Messer aus der Menge heraus geworfen wurden, welche nur knapp Menschen in einem kurdischen Cafe verfehlten. Was sagt die Polizei, welche auf Demonstrationen von Kurden bei jedem kleinen Hochhalten eines „Apo (Öcalan)-Bildes“ ohne Umschweife nicht gerade zimperlich eine ganze Demonstration mit Gewalt aufmischt und die entsprechenden Strafverfahren einleitet? Sie zuckt mit den Achseln.
Wenn der kurdischen Bevölkerung hier im Exil bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit vorgehalten wird, sie würden die „Völkerverständigung“ und das „friedliche Zusammenleben“ der verschiedenen Volksgruppen stören und beeinträchtigen, als was sind dann Vorfälle wie der obige zu bezeichnen? Wenn selbst Schulen in Berlin die Einführung eines Unterrichtsfaches „Kurdisch“ mit der Begründung ablehnen, dies sei eine „politische“ Sprache und würde dazu führen, dass sich die türkischen Familien aufregen und dies könne man sich nicht erlauben, während zugleich an etlichen Schulen z.B. in Berlin das Unterrichtsfach „Türkisch“ auf Wunsch der entsprechenden Eltern vermittelt durch das Türkische Generalkonsulat basierend auf in der Türkei hergestelltem, ultranationalistischem türkischen Unterrichtmaterial erteilt wird, wer gefährdet dann das „friedliche Miteinander“?
Die Medien vermitteln seit Jahren den Eindruck, als würde Erdogans Regierung einen moderaten Reformkurs gegenüber den Kurden eingeschlagen haben, so dass den Kurden quasi die Verantwortung für das „Stagnieren“ und die „Rückschritte“ zugeschrieben wird, wenn es zu bewaffneten Angriffen der PKK auf das ebenfalls bewaffnete türkische Militär kommt.
Die totale Zensur, die insbesondere über kurdische Sender verhängt ist, wird dabei verschwiegen. Die Kurden haben sicherlich nicht derart lange gekämpft, um sich Reportagen über z.B. das „Fortpflanzungsverhalten von Schmetterlingen“ nun auch auf Kurdisch anhören zu können.
Die Tausenden Festnahmen und Verhaftungen von zivilen kurdischen Politikerinnen und Politikern, die jegliches politische und selbst literarisch-journalistische Engagement verunmöglichen, werden dabei ebenso verschwiegen wie die seit längerem zu beobachtende erneute Zunahme von brutaler Repression, extralegaler Hinrichtungen und Folter. Angriffe durch türkisches Militär mit international geächteten chemischen Waffen und ein im Völkerrecht als „Angriffskrieg“ zu bezeichnender, militärisch grenzüberschreitender Krieg in Südkurdistan (Nordirak), bei denen immer wieder auch Zivilisten durch türkisches Militär getötet werden, sind lediglich eine Randnotiz wert.
Erdogan ist schlau, er hat zunächst seine Macht gefestigt und tritt nun mit aller Härte auf, um jedes nicht nur folkloristisch-kulturelle, sondern berechtigt politische Bestreben der kurdischen Bewegung zu zerschlagen und dies vermeintlich als Reaktion auf die PKK darzustellen. Nur solange die Kurden keine völkerrechtlichen und politischen Forderungen stellen, bzw. in ihrem Siedlungsgebiet entsprechende Politik umsetzen, sondern sich auf folkloristische, bunte Folkloreeinlagen beschränken, werden sie lächelnd als „unsere Mitbürger“ bezeichnet, die freundlicherweise durch ihre hübschen Tänze und leckeren Speisen zum Reichtum des Miteinanders beitragen.
Deutsche Politiker und deutsche Medien machen das Spiel mit, als ob sie es nicht durchschauen würden, oder schlimmer noch, als ob sie es unterstützen wollen. Dann wären die Kurden wirklich allein gelassen. Ein Grund mehr, die Kampagne nach Anerkennung der kurdischen Identität hier in Europa zu unterstützen.
Vielleicht wird hierdurch zumindest ein wenig Sensibilität für genaueres Hingucken geschaffen.