Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden zu Worten. Achte auf Deine Worte, denn sie werden zu Handlungen. Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden zu Gewohnheiten. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter...
Stellungnahme zur Entscheidung des UN-Antirassismus-Ausschusses in Sachen Sarrazin vom 04.04.2013, Communication Nr. 48/2010
von Jutta Hermanns, Rechtsanwältin
Als Rechtsanwältin des TBB im Beschwerdeverfahren vor dem UN-Antirassismus-Ausschuss nehme ich hiermit Stellung:
Die Entscheidung des Ausschusses enthält einige grundsätzliche und wegweisende Ausführungen:
Bereits auf der Stufe der Zulässigkeit entscheidet der Ausschuss, dass eine Individualbeschwerde auch durch eine Vereinigung - das heißt, eine juristische Person - eingereicht werden kann, wenn diese laut ihrer Satzung und ihrer tatsächlichen Praxis die Implementierung der durch die Konvention geschützten Rechte einzelner Menschen in Theorie und Praxis zur Aufgabe hat und dadurch selber von der Konventionsverletzung betroffen ist. Diese Ausführungen könnten durchaus in die Diskussion um die Einführung eines Verbandsklagerechts nach dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) Einfluss finden und eröffnen Verbänden und Vereinigungen auch in Zukunft die Möglichkeit, sich im Wege der Individualbeschwerde an den UN-Antirassismus-Ausschuss zu wenden.
Der Ausschuss hat entsprechend seines Mandats und seiner Kompetenzen eine dreistufige Prüfung vorgenommen:
1.) Sind die Äußerungen Sarrazin`s rassistisch im Sinne der Konvention einzustufen?
2.) Waren diese Äußerungen durch das wichtige und unveräußerliche Menschen- und Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt?
3.) Ist die Einstellung des Ermittlungsverfahrens im Verhältnis zu ähnlichen Verfahren als willkürlich, das heißt, ohne sachliche Rechtfertigung anzusehen und wird hierdurch das Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt?
Zu allen drei Punkten macht der Ausschuss über den Einzelfall hinausgehende Ausführungen. Meines Erachtens können und sollten die inhaltlichen Ausführungen dieser Entscheidung gut analysiert und verstanden werden. Sie können Grundlage einer sehr viel effektiveren Anti-Rassismusarbeit in Deutschland sein, als dies bisher - bis auf die Ausnahmen der unermüdlich aktiven antirassistischen Gruppen und Vereine - als notwendig erachtet wurde.
Es handelt sich keinesfalls um einen Triumph, sondern um einen kleinen Schritt auf einem langen Weg:
Es besteht die Möglichkeit für uns alle, den Zusammenhang und das Ineinandergreifen von Produktion, Reproduktion und breiter Verankerung vorurteilsbeladenen und rassistischen Gedankenguts als legitim und akzeptabel in weiten Teilen der Gesellschaft, der Verfestigung dieser Art Rassismen und den auf der Basis geistiger Akzeptanz rassistischer Stereotypen aufbauenden tätlichen Übergriffen und Angriffen auf Menschen nicht weißer Hautfarbe zu begreifen und ganz klar als einer freiheitlichen Gesellschaft nicht würdig und einer freiheitlichen Demokratie höchst gefährlich zu sanktionieren.
Jede kollektiv an Volkszugehörigkeit, Hautfarbe, ethnischer oder nationaler Herkunft anknüpfende Charakterisierung und/ oder Zuschreibung von Eigenschaften oder Handlungsweisen sind unzweifelhaft und definitiv rassistisch und die Unterzeichnerstaaten der Konvention sind die Verpflichtung eingegangen, entsprechend der dort vorgesehenen Mittel klare Maßnahmen zu ergreifen und sich zu positionieren.
Nur nebenbei möchte ich erwähnen, dass derartige kollektive Zuschreibungen (meistens) negativer Eigenschaften und Verhaltensweisen sowohl in der Geschichte als auch heutzutage letztlich der Ablenkung von den eigentlichen Ursachen der brennenden politischen, ökonomischen und sozialen Problemen dienen und eine auf niedrigstem Niveau angesiedelte, vereinfachende und dadurch immer falsche Erklärung existierender Probleme anstrebt.
Der Zorn der Mehrheitsbevölkerung über was auch immer wird so in eine bestimmte Richtung kanalisiert, die höchst gefährlich ist. Aufgabe des Ausschusses ist es, darauf hinzuweisen, dass es Staatenverpflichtung aus der Konvention ist, rassistischen Tendenzen rechtzeitig vorbeugend zu begegnen. Und das ist im Europa der heutigen Zeit unendlich wichtig, wenn man sich die Entwicklungen auch in den anderen europäischen Ländern ansieht.
Im Übrigen ist Deutschland in den Staatenberichten auch der EU immer wieder für seine viel zu enge Auslegung des Begriffs "Rassismus" und auch für die zu enge Fassung, bzw. Auslegung des „Volksverhetzungsparagrafen“, § 130 StGB, gerügt worden. Die Konsequenzen aus der Entscheidung des CERD dürfen sich jedoch nicht allein auf eine Verschärfung von Strafrecht, bzw. einer verschärften Anwendung des existierenden § 130 StGB konzentrieren, dies wäre viel zu kurz gegriffen.
Zu den oft zu hörenden Kommentaren, Strafrecht sei nicht das richtige Mittel, um Rassismus zu bekämpfen, kann vorbehaltlos geantwortet werden, ja richtig, allein strafrechtliche Konsequenzen werden der Dimension des Problems sicher nicht gerecht. Ich bin niemand, der nach der strafrechtlichen Keule schreit und zwar ganz grundsätzlich nicht. Aber solange wir Strafrecht einsetzen, um erwünschtes (erlaubtes) von unerwünschtem (verbotenem) Verhalten abzugrenzen, um akzeptiertes von geächtetem Verhalten sowohl dem Individuum als auch der ganzen Gesellschaft drastisch vor Augen zu führen und auf diese Art eine bestimmte Gesellschaft und ihre Werte formen und uns auf diese berufen, müssen wir uns auch mit der Aussagekraft unterlassener strafrechtlicher Sanktionierung von Rassismus befassen.
Freiheit von Rassismus ist ein unendlich hohes Gut und sollte für eine demokratisch-freiheitliche Gesellschaft selbstverständlich sein. Recht und Gesetz und die Entwicklung einer Gesellschaft stehen in direkter Wechselwirkung. Nicht selten werden Entwicklungen in der Auslegung und Schaffung nationalen Rechts durch europäische oder internationale Spruchkörper in Gang gesetzt.
Es geht nicht um die Pönalisierung einer Meinung oder einer „Gesinnung“, es geht um die Tatsache, dass das fundamentale Grundrecht auf verantwortungsvolle Wahrnehmung der Meinungsäußerungsfreiheit dort endet, wo es grundlegende Freiheitsrechte anderer Menschen missachtet. Das deutsche Strafrecht kennt die Straftatbestände der Beleidigung (einschließlich der Kollektivbeleidigung) und der Volksverhetzung, beides Äußerungsdelikte.
Strafrechtliche Sanktionierung ist nur ein Mittel, womöglich sogar das geringste, zur Auseinandersetzung mit Rassismus, aber sie besitzt eine hohe symbolischen Aussagekraft: Wenn die rassistische Herabwürdigung von Menschengruppen in pauschaler Anlehnung an ihre Herkunft als nicht strafwürdig deklariert wird, wird damit den Betroffenen und der ganzen Gesellschaft vermittelt, dass es völlig legitim sei, Menschengruppen angelehnt an ihre Hautfarbe, Abstammung oder ethnische oder nationale Herkunft als minderwertig zu betrachten. Und wissen wir nicht ganz genau, wohin es führt, wenn sich eine derartige Haltung auf breiter Grundlage in der Gesellschaft festigt?
Zur Kenntnis und zur weiteren Auseinandersetzung veröffentliche ich hiermit Teile aus der Beschwerdeschrift:
< … >
1.
Nach Art.1 Abs. 1 ICERD bezeichnet der Ausdruck „Rassendiskriminierung“ jede auf der „Rasse“, der Hautfarbe, der Abstammung, nationaler Herkunft oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird. Nach Art. 2 I d und 4 a, 6 ICERD sind u.a. die Verbreitung von Ideen, die sich auf die Überlegenheit (d.h. im Umkehrschluss: oder Unterlegenheit) einer „Rasse“ gründen und Propagandatätigkeiten, welche die „Rassendiskriminierung“ fördern oder unterstützen unter Strafe zu stellen und effektiv, auch strafrechtlich, zu verfolgen. Bei rassistischen Äußerungen handelt es sich damit um Äußerungen, die an ein Unterscheidungsmerkmal anknüpfen, das einen wesentlichen und unveräußerlichen Bestandteil der Identität der betreffenden Person, bzw. des betreffenden Personenkreises ausmacht.
2.
Nach heute gängiger Auffassung in den Sozialwissenschaften liegt eine rassistische Haltung vor, wenn drei Merkmale zusammentreffen:
wenn an eines der o.g. Unterscheidungsmerkmale angeknüpft wird,
wenn aufgrund dessen eine negative (oder positive) Zuschreibung von Eigenschaften dieser Menschengruppe erfolgt und wenn dies
aus der Position der Macht heraus erfolgt, wodurch derartige Einstellungen bereits ihre negativen Folgen für die Betroffenen erhalten, da ihnen durch die in der Folge möglichen Taten sowie durch ungeahndete Diskriminierungen greifbare Nachteile erwachsen.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Auftreten eines Diskurses pauschal negativer Bewertungen von Migrant_innen und Flüchtlingen als solcher für diese Menschen bereits eine Gefahr darstellt und sie schädigt. Es sind also nicht erst die Taten und Tätlichkeiten, die den betroffenen Menschen Gewalt antun, sondern es sind bereits die Texte und Worte, die sich gegen sie pauschal angelehnt an ihre Herkunft richten.
Nach mehreren Studien in der Bundesrepublik Deutschland sind im Vorfeld von (z.T. pogromartigen) Gewalttaten gegen Menschen nicht weißer Hautfarbe immer auch rassistisch angereicherte und angeheizte Diskurse in der Öffentlichkeit zu verzeichnen gewesen, da diese die gesamte Gesellschaft und damit auch diejenigen, die zu „gewaltsamen Lösungen“ bereit und in der Lage sind, erreichen.
Da Diskurse Handlungen zur Folge haben, erstreckt sich die Mit-Verantwortung der Diskursführer auch auf die potentiell folgenden Taten und tätlichen Angriffe (s.a. Siegfried Jäger, Gewalt in den Medien , Leiter des DISS – Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung,
http://www.diss-duisburg.de/Internetbibliothek/Artikel/Gewalt_in_den_Medien.htm).
3.
In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Bekämpfung rassistischer Haltungen und Handlungen in der Vergangenheit sehr auf das „rechtsextremistische“ Lager (mit Anknüpfung an den deutschen Nationalsozialismus/ Faschismus) fokussiert und zugleich beschränkt und rassistische Vorurteile und Haltungen in der Mitte der Gesellschaft vernachlässigt. Das hatte zur Folge, dass die Gefährlichkeit derartiger, quasi gesellschaftsfähiger rassistischer Diskurse und Diskriminierungen weder erkannt, noch Einhalt geboten wurde. Das deutsche Institut für Menschenrechte mahnt daher unter Punkt 3.1. seiner Stellungnahme und Empfehlungen zum Nationalen Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland gegen Rassismus 2009 (Policy Paper No 12) an:
„Trotz der programmatischen Erklärung fehlt im Nationalen Aktionsplan jedoch eine Analyse der heutigen Situation in Deutschland, die sich fundiert mit Motiven, Ausmaß, Erscheinungsformen und Wirkungen von Rassismus und rassistischer Diskriminierung in Deutschland beschäftigt. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen rassistischer Einstellungen nicht nur als gesellschaftliche Randerscheinung, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft wird nicht vorgenommen“.
Dies hat zur Folge, dass sich die Mehrheitsgesellschaft mühelos von „den Faschisten“ und „den Neonazis“ abgrenzen kann, ohne zu registrieren, dass ihre eigene Grundhaltung Menschen anderer Herkunft gegenüber zutiefst von rassistischen Vorurteilen beherrscht wird.
4.
In der Folge werden auch rassistische Äußerungen nicht als solche wahrgenommen, insbesondere, da die entsprechenden Äußerungen häufig nicht in offen faschistisch-rassistischem Gewand geschehen, sondern auf die Verwendung von Symbolik zurückgreifen oder verdeckt auftreten.
Durch den Einsatz von Sprachbildern und Symbolik wird bei der Bevölkerung ein Effekt von „Verständlichkeit“ hervorgerufen, der eben als „sinnvoll“ erscheint und ein „Bedrohungsgefühl“ entstehen lässt oder stärkt. So wird durch die Verwendung rassistischer Äußerungen das alltägliche Denken der Mehrheitsgesellschaft aufgegriffen, zugespitzt und ständig aufs Neue reproduziert und gestärkt. Es wird ein Bild entworfen, durch das sich die Mehrheitsgesellschaft in einer Art Notwehrsituation gegen das Subjekt einer vermeintlichen Bedrohung empfindet, welche geradezu nach Handlungsbedarf schreit. Die Ausgrenzung von Migrant_innen und Flüchtlingen geht einher mit einer latenten Handlungsbereitschaft. Es wird zudem der Eindruck erweckt, als beinhalteten die verbalen Anfeindungen einen realen und überprüfbaren wahren Tatsachengehalt.
5.
Für die betroffenen Bevölkerungsgruppen rassistischer Anfeindungen und Propaganda entsteht so bei unbestrafter Akzeptanz durch staatliche Justizbehörden neben der in der Allgemeinen Empfehlung CERDs Nr. XXVI vom 24.03.2000 unter Punkt 1. dargelegten Gefühle von Wertlosigkeit auch eine permanent latente Bedrohungssituation...
A...(Um den Äußerungen Sarrazins nicht erneut Raum zu bieten, wird auf die Wiedergabe der detaillierten Auseinandersetzung mit den einzelnen Äußerungen und deren rechtlicher Einordnung gemessen an der UN Anti-Rassismuskonvention verzichtet)...
B.
...Zwar ist es richtig, wie die Staatsanwaltschaft schreibt, dass Äußerungen im Kontext betrachtet werden müssen. Allerdings muß man die über das Interview verstreuten Passagen und Aussagen insbesondere über die türkische, türkischstämmige und arabische Bevölkerung ebenfalls in Bezug aufeinander betrachten.
Die Staatsanwaltschaft Berlin begründet die Einstellung der Ermittlungen u.a. damit, dass die Äußerungen Herrn Sarrazins „im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung u.a. mit den wirtschaftlichen und sozialen Problemen in Berlin“ getätigt worden seien. Sie würden somit eine Art „gesellschaftspolitische Kritik in Form eines Beitrags zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“ darstellen. Als solche seien auch „durch Schärfe und Polemik“ gekennzeichnete Äußerungen gerechtfertigt. Das „sachliche Anliegen“ stehe im Vordergrund. Daher seien die Äußerungen jedenfalls von dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.
Auch bezüglich dieser Argumentation verkennt die Staatsanwaltschaft ganz offensichtlich, dass das Recht auf scharfe Auseinandersetzung im Meinungskampf und auf Meinungsäußerungfreiheit seine Grenzen u.a. in den Strafgesetzen und auch in den Verpflichtungen aus dem ICERD findet.
Auch polemische und scharfe Äußerungen dürfen die Grenze zur rassistischen pauschalen Abwertung einer Bevölkerungsgruppe als minderwertig nicht überschreiten.
Hier wird eine Unterscheidung, Ausschließung und Beschränkung von vermeintlich Verantwortlichen für die finanzielle, soziale und gesellschaftliche „Misere“ Berlins u.a. angelehnt an die „Rasse“, die Abstammung, die nationale Herkunft und das Volkstum („Türken und Araber“) i.S.v. Art. 1 Abs. 1 ICERD vorgenommen, in dessen Folge diesen Gruppen und damit auch dem Beschwerdeführer die gleichberechtigte Anerkennung abgesprochen wird. Hieran ändert auch die stellenweise gleiche Zuschreibung von Verantwortung für den bevorstehenden Untergang Berlins an die ausgemachte „weiße Unterklasse“ nichts, im Gegenteil, Rassismus geht oft Hand in Hand mit dem Ausschluss auch von als „sozial minderwertig“ klassifizierten Schichten der weißen Mehrheitsgesellschaft.
Es werden Feindbilder in Anlehnung an die Zugehörigkeit von Menschen zu einer nach ihrer Herkunft definierten Gruppe geschaffen, bzw. reproduziert, auf welche in der Folge die Mehrheitsbevölkerung ihren Unmut und ihre Wut über ihre eigene als negativ ausgemachte Situation und ihre Macht- und Hilflosigkeit gegenüber den eigentlichen Fehlern und das Versagen der Politik (und auch der Gesellschaft selber) richten kann.
Diese Vorgehensweise überschreitet die zulässige, von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckte polemische Darstellung, indem die vermeintlichen oder tatsächlichen Probleme Berlins u.a. der „Minderwertigkeit“ der vordergründig als verantwortlich ausgemachten und allein über das unveräußerliche Merkmal ihrer Herkunft definierten und beschriebenen Gruppe zugeschrieben wird: „den Türken“ (und „den Arabern“ etc).
Pauschal abwertende rassistische Äußerungen i.S.v. Art.1 Abs. 1 ICERD, welche rassistische Vorurteile in der Mitte der Mehrheitsgesellschaft stärken und reproduzieren, sind von der Meinungsäußerungsfreiheit ebenfalls nicht gedeckt, da hierdurch der latent vorhandenen Ausgrenzung von Migrant_innen und Flüchtlingen und der Bereitschaft bestimmter Gruppen zu Gewaltakten gegen sie, Vorschub geleistet wird.
Äußerungen, welche diese Qualität besitzen, sind jedenfalls nicht mit der notwendigen, sowohl von CERD als auch dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen immer wieder betonten Verantwortung bei der Wahrnehmung des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu vereinbaren. Derartige Äußerungen stellen das Gegenteil eines zwar polemischen, jedoch im Kern sachlichen Beitrags im öffentlichen Meinungskampf dar (siehe auch: CERD Mitteilung Nr. 34/2004, Mohammed Hassan Gelle ./. Dänemark, RdNr 7.5; CERD Mitteilung 16/1999, Kashif Ahmad ./. Dänemark; CERD Mitteilung Nr. 30/2003, Die jüdische Gemeinde von Oslo u.a. ./. Norwegen, RdNr. 10.5).
Nichts anderes gilt für die Äußerungen Sarrazins, welcher als ehemaliger Politiker eine noch weitaus größere Verantwortung trägt.
C.
Da Herr Sarrazin ehemaliger Finanzsenator von Berlin ist und jetziges Mitglied im Vorstand der deutschen Bank, führt seine diesbezügliche Autorität zusätzlich zu der Suggestion, seine Angaben beruhten auf Tatsachenfeststellungen und seien daher „die Wahrheit“. So wurden seine Äußerungen in der Folge auch durch die Öffentlichkeit reproduziert, indem die Mehrheitsbevölkerung der Meinung ist, Herr Sarrazin würde ja „nur die Wahrheit sagen“ (so z.B. etliche Briefe und mails an den Beschwerdeführer, Webseiten der rechtsradikalen Parteien NPD u.a., Leserbriefe etc.).
Die besondere Gefährlichkeit an Hautfarbe und Herkunft angelehnter Wesenszuschreibungen wird durch den Umstand, dass Herr Sarrazin ehemaliger Politiker der Berliner Regierung und Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, einer bundesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts und Zentralbank der Bundesrepublik Deutschland ist, noch erhöht.
Die Berliner Staatsanwaltschaft beruft sich in ihrem Einstellungsbescheid ebenfalls darauf, dass Herr Sarazzin „als ehemaliger Finanzsenator Berlins unstreitig mit den vielfältigen Problemen Berlins vertraut“ sei; „seine Äußerungen fußen auf seiner mehrjährigen politischen Arbeit in Berlin und den daraus gewonnenen Einsichten“. Sie folgt damit der Auffassung, die rassistischen Äußerungen über „die Türken und die Araber“ als solchen könnten womöglich einen an Tatsachen überprüfbaren Wahrheitskern beinhalten, was in Anbetracht des Wesens von Rassismus und den Verpflichtungen aus dem ICERD eine nicht hinnehmbare Interpretation darstellt. Im Gegenteil: hierdurch werden rassistische Zuschreibungen und Einstellungen erst recht salonfähig gemacht.
Art. 4 Abs. 1 c ICERD legt den Staaten die Verpflichtung auf, nicht zuzulassen, dass staatliche Behörden oder öffentliche Einrichtungen die „Rassendiskriminierung“ fördern oder dazu aufreizen. Dem liegt die Vorstellung zu Grunde, dass gerade staatliche Einrichtungen und Repräsentanten latent vorhandene „Rassendiskriminierung“ in keiner Form, das heißt, auch nicht durch entsprechende Reden, fördern dürfen, da ihrer Rede in der Öffentlichkeit noch weit größeres Gewicht zukommt als dumpfen Stammtischparolen. Zwar hat Herr Sararazin hier nicht als Repräsentant des Staates gesprochen, weswegen eine Verletzung des Art. 4 Abs. 1 ( c ) ICERD auch nicht gerügt wird.
Die Staatsanwaltschaft hat aber auch diesen Aspekt ganz offensichtlich völlig unberücksichtigt gelassen, im Gegenteil, sie spricht der Verbreitung der Idee, „Türken und Araber“ seien aufgrund ihrer aus ihrer Mentalität herrührenden „Unfähigkeit“ und damit „Minderwertigkeit“ verantwortlich für die „Misere“ in Berlin, auf Grund der Tatsache, dass sie von Herrn Sarrazin stammt, auch noch einen ganz besonderen „Wahrheitsgehalt“ zu.
D.
Die Folge der Äußerungen Herrn Sarrazins ist eine unmittelbare Stärkung der mit Vorurteilen beladenen, ablehnenden und rassistischen Stimmung der Mehrheitsbevölkerung gegen die türkische und türkischstämmige (und arabische) Bevölkerung im Besonderen und gegen Menschen nicht weißer Hautfarbe, selbst gegen deren Kinder, im Allgemeinen. Derartige rassistische Äußerungen sind nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung umfasst, da die betroffene Gruppe ein Recht darauf hat, in der Öffentlichkeit ohne Vorurteile, pauschale Intoleranz und rassistische Anfeindungen zu leben und ihre Rechte wahrzunehmen. Die durch Herrn Sarrazin getätigten Behauptungen in ihrer Gesamtheit sind in dem speziellen sozialen Kontext in der Bundesrepublik Deutschland geeignet, sich in ein Gesamtmuster der Anstachelung zu „Rassenhass“ gegen die türkische (und arabische) Bevölkerung und generell Menschen nicht weißer Hautfarbe einzufügen, was unter Umständen noch gefährlicher sein kann als der offen zur Schau getragene und insofern auch leichter zu bekämpfende Rassismus der neuen und der alten Nazis.
Da die Ermittlungen gegen Herrn Sarrazin eingestellt wurden, ist dem Beschwerdeführer willkürlich strafrechtlicher Schutz vor gegen ihn als Personengruppe türkischstämmiger Menschen und als Vertreter dieser Gruppe (als Verein) gerichteter „rassendiskriminierender“ Äußerungen und Verbreitung derartiger Ideen verwehrt worden, was einen Verstoß gegen Art. 2 I d, Art. 4 (a) und Art. 6 ICERD darstellt.
Hierdurch wird zugleich der Weg auch für künftige Verletzungen bereitet, da der Beschwerdeführer damit rechnen muß, auch künftig angefeindet zu werden oder sogar mehr, Opfer tätlicher Übergriffe aufgrund des hohen Symbolgehalts der Einstellung der Ermittlungen zu werden.
E.
Der Ausschuss wird gebeten, das Ausmaß, in dem es im vorliegenden Fall zu Verletzungen der Rechte des Beschwerdeführers aus dem ICERD gekommen ist sowie die Verantwortung des Vertragsstaates für den vorenthaltenen Schutz, zu prüfen. Der Ausschuss wird zudem gebeten, Empfehlungen an den Vertragsstaat auszusprechen, um sicherzustellen, dass die existierenden Rechtsvorschriften effektiv zur Anwendung gelangen und so in Zukunft in ähnlichen Fällen erneute Verletzungen des Abkommens auszuschließen sind...“